Die Nixie-Uhr
Ein selten gewordener Anblick
Flohmärkte haben ein ganz besonderes Flair. Nicht nur, daß man dort gute Geschäfte machen kann, wenn man weiß
was man sucht und wieviel man dafür auszugeben gewillt ist, nein es gibt auch eine ganz besondere Sorte Mensch dort.
Ich habe einen getroffen, der erzählte mir, daß er an diesem Tag so wenig Umsatz gemacht hat, daß es sich für Ihn
heute überhaupt nicht lohnt und er nicht einmal die Benzinkosten für seinen Kleintransporter wieder eingespielt hat.
Während der gute Mann mir sein Leid klagte, wanderte mein Blick über seine Ware - es war wirklich ein chaotischer
Schrotthaufen. Vergammelt und ohne jedes System lagen 20 Jahre alte Computerteile auf dem Tisch herum. Aber unter
dem Tisch, zwischen alten Pappkartons und Kabelrollen zweifelhafter Qualität, da stand er - häßlich und im grauen
EGS-Gehäuse, der Digitalzähler POLYDIGIT 1 aus dem VEB POLYTECHNIK KARL-MARX-STADT. Der Mensch erzählte unentwegt
weiter und klagte mir sein Leid. Warscheinlich war das seine Verkaufsstrategie, die er sich zurecht gelegt hatte.
Um von diesem Verkaufsstand wegzukommen und das einseitige Gerede zu beenden, fragte ich ihn aus Spaß, ob ich ihm
aus Mitleid 5 Euro für seine Heimfahrt spenden solle. Ja, meinte er, das wäre nicht schlecht, aber er wolle keine
Almosen und ich könnte mir auf seinem Tisch für die 5 Euro irgendetwas aussuchen. Wie bitte, fällt denn heute Ostern
und Weihnachten auf einen Tag? OK, den POLYDIGIT da unter dem Tisch, den nehme ich und er willigte grinsend
ein und gab mir auch noch gratis das Handbuch dazu. Als ich vom Verstauen meiner Beute zurück kam und an jenem
Tisch meinen Rundgang fortsetzen wollte, stand da schon der nächste Interessent und ich hörte etwas von
Benzinkosten reden. Verschmitzt zwinkerte mir der Verkäufer zu, als ich kopfnickend an ihm vorüber ging.
So häßlich, wie auf dem unten gezeigten schwarz/weiss-Foto war er dann auch wirklich in seiner
Blechkiste. Aber als ich ihn zu Hause an die Netzspannung anschloß zeigten alle 5 Ziffernanzeigeröhren artig ihre "0"
an, so wie es sein sollte. Nun sah die Sache schon freundlicher aus, im orangenen Licht der Glimmentladungen. Bei der
Suche nach dem Datenblatt der im POLYDIGIT 1 enthaltenen Ziffernanzeigeröhren Z5660M stieß ich dann auf verschiedene
Webseiten mit tollen Nixie-Uhren. Wie immer, wenn es um Röhren geht, hält
Jogis Röhrenbude
jede Menge Anregungen bereit. So etwas wollte ich nun auch bauen.
Beim Schlachten des POLYDIGIT 1 hatte ich 5 Ziffernanzeigeröhren nebst Sockeln gewonnen. Der getränkte Netztransformator machte
auch einen guten Eindruck und so standen die Hauptkomponenten fest. Blieb noch die Enscheidung, die Steuerelektronik
mit einem kleinen ATMEL Mikrokontroller oder mit CMOS Schaltkreisen zu bauen. Die CMOS-Dinger hatte ich irgendwo
einmal ausgebaut, den ATMEL hätte ich erst kaufen müssen. Also war alles klar.
Den Aufbau der Elektronik machte ich dann zur Abwechslung einmal auf 2 Lochrasterplatten, was ich nachträglich aber
bereut habe. Das Ziehen jeder einzelnen Verbindung entweder als Zinnbrücke oder als Draht ist sehr zeitaufwändig und
sieht am Ende nicht schön aus. Zwei Leiterplatten mit
SPRINT LAYOUT
entworfen und selbst geätzt und gebohrt wären insgesamt schneller gegangen und sähen auch besser aus. Nun ja,
vielleicht bei der nächsten Nixie-Uhr ...
Der Quarzoszillator wurde mit einem angeschlossenen Zählfrequenzmesser auf Sollfrequenz abgeglichen. Der Einstellbereich
des keramischen Scheibentrimmers ist dazu vollig ausreichend. Die Gangabweichung ist nach erfolgtem Abgleich etwa
10 Sekunden im halben Jahr und damit kann ich leben.
Ein Nachteil dieser Uhr sei aber nicht verschwiegen: Ich habe absichtlich keinerlei Taster zum Stellen der Uhr
eingebaut, weil ich das Messing an der Frontplatte als gesamte Fläche erhalten wollte. Das bringt Ruhe in das Aussehen.
Aus diesem Grund ist auch kein hektisch blinkender Doppelpunkt und keine Sekundenanzeige vorhanden. Das nervt nur.
Aber nun bleibe ich regelmäßig aller halber Jahre nachts nach der Umstellung auf Sommerzeit oder Winterzeit bis
00:00 Uhr wach und stecke punktlich um 00:00:00 Uhr den Netzstecker der Uhr neu in die Steckdose. Das sind meine
2 Nächte im Jahr, an denen ich das Spätprogramm im TV ausprobiere. Vielleicht haben ja auch einmal die Damen und
Herren Beamten, die die unsinnige Sommer-/Winterzeit-Umstellung verbrochen haben, ein Einsehen und schaffen den von
ihnen verzapften Unfug einfach wieder ab? Naja, ich fange an zu träumen - wann wurde je ein dummes Gesetz schon mal
wieder abgeschafft? Es wurde höchstens durch ein noch unsinnigeres ersetzt ...
Auszüge aus dem Handbuch des Polydigit 1:
- Versuchsanleitung mit Beschreibung eines Zählerbausteins (PDF, 6MB)
- Schaltplan Gesamtgerät (PDF, 2MB)